Zur Ehrenrettung der Wissenschaft

Wenn sich die größten Wissenschaftsleugner als Verteidiger der Wissenschaft aufspielen


In der Online-„Presse“ vom 25. März 2024 findet sich ein Beitrag von Josef Christian Aigner mit dem Titel „Wenn die Politik die Wissenschaft schroff ignoriert“. Darin verbreitet er alle typischen Klischees und Vorurteile, die man von linker Seite zum Thema Wissenschaft typisch und üblich zu hören bekommt.

Im Wesentlichen ersetzt er die wissenschaftliche Methodik, wonach Thesen in jedem Fach durch fachspezifische Experimente oder sonstige Realitätsvergleiche verifiziert oder falsifiziert werden, durch einen pseudoreligiösen Kult, der von den Menschen verlangt, an die Aussagen der Wissenschaftler zu glauben, ohne sie nachvollziehen zu können.

Das hat die Menschheit in dieser Form in der Geschichte noch nie getan (zu ihrem großen Wohl), und am allerwenigsten die Wissenschaftler selbst.

Herr Aigner verwechselt den Respekt vor der Person des Wissenschaftlers, insbesondere des hochgebildeten, intelligenten Forschers mit Meriten und Verdiensten in seinem Fachgebiet, mit der Wissenschaft selbst.


Nun kann nicht jeder Mensch alle wissenschaftlichen Erkenntnisse selbst nachvollziehen. Heutzutage können das nicht einmal mehr Einzelne, die letzten „Universalgelehrten“ sind vor 200 Jahren zu verorten, und selbst für damals ist das Detailverständnis in allen Disziplinen zu hinterfragen. Umso weniger geht das heute.

Müssen wir nicht also letztlich auf die Aussagen der Wissenschaftler vertrauen?

Ja, aber. Das große Aber bezieht sich darauf, dass das gesammelte Wissen immer mehr explodiert und immer mehr Spezialisten auf einzelnen Fachgebieten tätig sind und ihr zweifellos exzellentes Fachwissen für das A und O der Welt halten, also verabsolutieren. Diese Verabsolutierung ist innerhalb ihres Spezialgebiets sicher zulässig und notwendig. Aber die erlebte Umwelt des modernen Menschen wird durch die vielen Interaktionen der einzelnen Teildisziplinen immer komplexer. Die Neigung zur Verkürzung, Verabsolutierung und unzulässigen Vereinfachung besteht, und besteht leider auch bei Wissenschaftlern, insbesondere bei jenen in der zweiten Reihe, die um Anerkennung und Karriere kämpfen, und darum auch um Einfluß auf die Entscheidungen der Menschen im täglichen Leben, in Politik und Wirtschaft.

Die Informationen über ein wissenschaftliches Phänomen kommen heute nie mehr direkt vom Entdecker/Erforscher zum einfachen Menschen. Längst haben sich Zwischendisziplinen von „Wissenschaftsvermittlung“ etabliert. Eine der ältesten davon ist ja seit Urzeiten bekannt: Die Schule. Dort besteht ein Zwiespalt, weil man einerseits die jungen Menschen, besonders jene, die dann in die Forschung gehen, möglichst nahe an den aktuellen Stand des Wissens heranführen will, andererseits aber in der Schule möglichst ideologiefrei, möglichst klar und verständlich und von aller unnötigen Schlacke befreit nach Möglichkeit nur wissenschaftlich gesichertes Wissen und absolut notwendige Grundfertigkeiten den Menschen vermitteln will. Für mehr reicht die Zeit nicht.


Beklagenswert ist, dass dabei in der Schule gerade an der Mathematik und den Naturwissenschaften in den letzten Jahren gespart wird. Ich halte es für erfreulich, dass es eine Zentralmatura nun gibt, aber für weniger erfreulich, dass dort (nach meinem Eindruck) zu viel Wert auf Textaufgaben und auf das Verständnis abstrakter mathematischer Begrifflichkeiten und zu wenig Wert auf konkretes Rechnen und konkrete Lösungsstrategien gelegt wird. Letztlich wird damit eher das sprachliche Verständnis der Schüler, insbesondere das genaue Zusammenwirken von Sprachlogik, mathematischen Begriffen, und einfachen vorgegebenen Sachverhalten abgeprüft. Das ist natürlich für eine zentralisierte Prüfung ein guter Weg um zu standardisieren und Vergleichbarkeit zu schaffen. Es ist aber weniger gut geeignet, um zukünftige Handwerker und Firmenmitarbeiter in den mathematischen Grundfertigkeiten und Denkmodellen auszubilden. Der Trend geht dahin, dass in der Wirtschaft und Verwaltung, besonders dort, wo nicht an Forschung und Entwicklung gearbeitet wird, selbst einfache Grundgegebenheiten nicht mehr nachvollzogen werden können.

Dass sich dieser Verlust von Vernunft und „Hausverstand“ (ein oft missbrauchtes Wort) bis hinein in die Medien zieht und unseren ganzen Diskurs bestimmt, möchte ich an zwei kleinen Beispielen aufzeigen, beide aus dem Hause des ORF. In den Zeitungen gibt’s ähnliche Unsinnigkeiten zuhauf, aber ich möchte jetzt keiner einzelnen Publikation zu nahe treten. Beide Beispiele sind aus dem Bereich des Klimaschutzes.


Beispiel 1: Jakarta und der Meeresspiegel.

Ein ORF-Bericht vor einigen Jahren erwähnt, dass die indonesische Hauptstadt Jakarta unter den Folgen des Klimawandels leidet und im Meer zu versinken droht. Der erste derartige Bericht ist mir vor mehreren Jahren aufgefallen, eine Google-Suche zeigt, dass seither viele Berichte zu diesem Ort gebracht wurden, praktisch immer im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Die Kombination scheint ein Lieblingsthema des ORF zu sein, das alle paar Jahre von neuem aufgewärmt wird. Beim ersten Mal habe ich noch an zwei mir bekannte ORF-Leute eine Mail geschrieben, dass sie diesen Unsinn bitte korrigieren sollen. Darauf gab es keine Reaktion. In den neueren Berichten wird in typischer ORF-Manier zuerst vom steigenden Meeresspiegel gesprochen, dann vom Klimawandel, und dann davon, dass der Hauptteil des Problems aber menschengemacht sei.

Ja eh. Das Problem ist, dass beim ORF in der Wissenschaftsredaktion keine Leute sitzen, die ein gewisses wissenschaftliches Grundverständnis haben. Der Meeresspiegel steigt in Jakarta durch den Klimawandel genauso schnell, wie er überall sonst auf der Welt durch den Klimawandel steigt. Wenn nicht geologische oder tektonische Phänomene hinzukommen, ist Jakarta kein besonderer Ausnahmefall.

Bei auch nur geringfügiger Recherche, die ich beim ersten Auffallen eines Jakarta-Artikels unternommen habe, zeigt sich, dass den Indonesiern das Problem und die Ursache bekannt sind: Durch das Wachsen der Stadt wird immer mehr Grundwasser dem ursprünglich sumpfigen Grund entnommen, und durch die Entwässerung sinkt das Bodenniveau. Dieses Phänomen macht den Hauptanteil des Effekts aus (mehr als 90%), der weltweite Anstieg des Meeresspiegels durch die Erderwärmung macht im Vergleich nur einen geringen Anteil aus. Die Indonesier wissen das und haben die Sache gemeinsam mit niederländischen Spezialisten (die grosse Erfahrung im Bau von Deichen haben) untersucht.

Soweit ist also alles klar bis auf die Frage, die bleibt: Warum schreibt der ORF bis heute Artikel zum Thema Jarkarta, Klimawandel und Anstieg des Meeresspiegels? Diese Artikel erzeugen bei geringer gebildeten Menschen, und besonders bei linken „die ganze Welt wird verbrennen“-Propheten, aufgrund ihrer suggestiven Schreibweise einen Eindruck, der zu 100% nicht von der Wissenschaft gedeckt ist, der aber zweifellos dazu beiträgt, dass der linke Narrensaum sich auf die Straße klebt.

Langfristig wird diese Unvernunft der Reputation aller Medien und vermutlich auch der Wissenschaft insgesamt bei den Menschen schwer schaden. Es ist beklagenswert, dass sich nicht mehr Wissenschaftler gegen solche Unseriosität auflehnen.


Beispiel 2: Aufzüge in der Stadt als Energiespeicher.

Auch bereits zweimal in einem gewissen zeitlichen Abstand ist in Zeitungen und im ORF von einer Forschungsgruppe zu lesen, die Aufzüge mit Gewichten als Energiespeicher nutzen will. Manchmal will man die vielen Aufzüge in der Stadt nutzen, manchmal auch Aufzüge in Bergwerksschächten errichten.

Ganz zweifellos haben diese Forschungsgruppe und die Medien, die das dann rezipieren, schon einmal begriffen, dass die Energiespeicherung, besonders die Speicherung „hochwertiger“ (gut umwandelbarer) mechanischer oder elektrischer Energie, ein Problem darstellt, das zu lösen ist, wenn man fossile Energieträger aus dem Alltag verbannen will. Willkommen im Club: Alle Physiker, Elektrotechniker und Energiewirtschaftler wissen seit wesentlich mehr als 100 Jahren, dass das der Knackpunkt ist, an dem der Fortschritt stockt. Nicht zuletzt deshalb hat man vor 100 Jahren begonnen, grosse Stauseen zu bauen.

Aber zu wissen, dass an einem bestimmten Punkt die Forschung nicht recht weiterkommt, weil das Problem schwierig ist, bedeutet nicht, dass man dann auf jeden Unsinn in der öffentlichen Berichterstattung aufspringen muss. Die Stauseen sind ja genau das, was die „Aufzugsmethode“ im Kleinformat ist, im Großen: Riesige Mengen Wasser werden durch Pumpen hinaufbewegt, um die Energie zu speichern, und können bei Bedarf über Turbinen diese Energie wieder abgeben.

Aber hat sich einer dieser wissenschaftlich Minderbemittelten in den Medien und den einschlägigen „Forschungsgruppen“ schon einmal die Zahlen dazu angesehen?
Hat da ein Einziger in den Wissenschaftsredaktionen einmal den Rechenstift zur Hand genommen?
Ja, das Problem lässt sich mit Hauptschulwissen (!) der Physik lösen. Es sind nur Grundkonzepte, die man dafür braucht: Masse, Gewicht, Erdbeschleunigung, Energieverbrauch pro Kopf (etwa 1 kW elektrische Energie pro Person in einem westlichen Industriestaat).

Es ist kein Wunder, dass sich nach jedem derartigen Bericht in den Medien Hohn und Spott über die Autoren ergießen. Jeder HTL-Absolvent wird bis zum Ende seines Berufslebens einen derartigen Artikel als völligen Unsinn erkennen.

Ich habe aber noch nicht erlebt, dass Personen wie Herr Aigner jemals zu solchen Themen Stellung genommen hätten.


Und damit sind wir beim Punkt: Zu viele Menschen spielen sich heute als Experten auf. Herr Aigner hat mal im Bildungsbereich gearbeitet. Wenn er die Grundzüge des Lehrstoffs (wie gesagt, Hauptschule reicht fürs erste) verinnerlicht hätte und die Liebe zur Wissenschaft ernst nehmen würde, müsste er bei solchen Artikeln und bei vielen ähnlichen schon sehr viele Beiträge geschrieben haben. Wo sind sie?

Die Vielzahl der Unsinnigkeiten, die heute an die Menschen herangetragen werden, haben den Effekt, dass die Nichtwissenden nur nach ihrer „Religion“, nach ihrer subjektiven Lebensideologie, bewerten, und dass die fachlich zumindest mittelmäßig ausgebildeten, vom Installateur bis zum HTL-Absolventen, den Kopf schütteln. Je mehr sie im Leben stehen, umso stärker.


Es ist eine Schande, wenn auf die dilettantischste Weise Themengebiete der Wissenschaft miteinander vermischt und den Menschen „aufs Aug gedrückt“ werden.

Zum Beispiel wird der Feinstaub mit der Stickoxidbelastung und dem CO₂-Ausstoß bei Autos in einen Topf geworfen. Alles ist „umweltschädlich“. Die Speicherleistung von Elektroautobatterien (die hochoptimiert auf geringes Gewicht und hohes Speichervermögen sind) wird als mögliche Lösung zum Speichern von Windkraftstrom ins Spiel gebracht, obwohl sich für diesen Zweck fix installierte Anlagen mit viel höherem Gewicht, geringeren Herstellkosten und geringerem Verbrauch an Bodenschätzen und Spezialmaterialien empfehlen würden. Dass der Zweck von Elektroautobatterien ja ist, aufgeladen zu sein, wenn man das Auto einmal kurzfristig braucht, wird einfach vernachlässigt. Dass alle Batterien aller Autos, selbst wenn das ganze Land auf Elektroautos umgestellt wird, den Strombedarf des Landes nur wenige Tage speichern können und daher keineswegs eine Lösung für den großen saisonalen Unterschied von Stromüberschuss und Dunkelflaute sein können, wird so wenig thematisiert, wie alle anderen unangenehmen Wahrheiten. Woher der zusätzliche Strombedarf von Elektroautos und Wärmepumpen kommen soll, wird grundsätzlich nicht angesprochen.

Es ist auch die Frage, wieso man gerade bei der Mobilität, wo das Verhältnis von Energie zu Gewicht die entscheidende Größe ist, zuerst von fossil auf elektrisch umstellen will. Ein Dieseltank hat noch immer die etwa 70fache Energiedichte einer Batterie, und selbst bei großem Fortschritt in der Batterietechnologie sind keine großen Sprünge mehr zu erwarten (weil mit Lithium bereits das leichteste verfügbare Metall genutzt wird – ein kurzer Blick auf das Periodensystem wäre hilfreich).

Es ist auch ein völliger Unsinn, die Zahl der Autos reduzieren zu wollen. Derzeit und auch in Zukunft sind Elektroautos insbesondere deshalb nicht konkurrenzfähig, weil ihre Reichweite sehr begrenzt ist, umso mehr im Winter bei kaltem Wetter in den Bergen. Und eine auch nur halbwegs ausreichende Batterie wiegt schon mal 500 kg oder mehr. Das sind alles 2-Tonnen-Monster, die da propagiert werden. Und trotzdem ist Herr Mückstein mit den Elektroautos auf dem Weg zur Corona-Besprechung nach Innsbruck mitten auf der Autobahn liegen geblieben.

Aus Sicht der Volkswirtschaft und der Vernunft wäre es viel besser, ein duales System zu propagieren: Ein kleines Elektroauto mit Reichweite maximal 100 km, um den täglichen Pendlerweg zur Arbeit oder zum Park-and-Ride zurückzulegen, und ein großes Verbrennerauto, um den wöchentlichen Großeinkauf und die Fahrt in den Urlaub zu erledigen.

Aber weil das gegen die linke „Auto ist böse“-Ideologie geht, wird das bei uns nie kommen. Die besten Möglichkeiten für den Umweltschutz, die mit dem geringsten Mitteleinsatz den besten Nutzen bringen, werden aus ideologischen Gründen von den Linken boykottiert.


Herrn Aigners Text ist in praktisch allen Punkten fachlich falsch, und insbesondere entgegen den Erkenntnissen der Wissenschaft formuliert. Die Wissenschaft ist viel besser, als man ihr (von rechts wie von links) nachsagt oder vorwirft. Viele wichtige Fragen sind längst geklärt, und manche Lösungsansätze sind vorhanden. Damit diese genutzt werden können, muss man die antiwissenschaftlichen Schwurbler zurechtweisen und darf ihnen die Unwissenschaftlichkeit nicht durchgehen lassen. Soweit hat Herr Aigner recht. Leider gehört er selbst zu diesen Schwurblern, was er weder einsehen noch zu ändern versuchen wird.

Zwei konkrete Punkte seines Texts möchte ich noch herausgreifen.


Punkt Eins: Der von ihm eingeforderte Respekt vor den Experten des Weltklimarats.

Da ich selbst einmal numerische Simulation von physikalischen Phänomenen betrieben habe, habe ich hohen Respekt vor der fachlichen Qualifikation von Personen, die ein solches Unterfangen in Angriff nehmen. Leider habe ich aber auch eine gewisse Erfahrung zur Aussagekräftigkeit von Simulationen in der Praxis. Hier muss man unterscheiden:

Erkenntnisse, die aus physikalischen Grundprinzipien, zum Beispiel Erhaltungsgrößen, abgeleitet werden können, sind extrem valide. Wenn CO₂ tatsächlich einen Treibhauseffekt hat (was sich physikalisch messen und bestätigen oder widerlegen lässt), dann ist die Erderwärmung als Phänomen bestätigt. Die einstrahlende Energiemenge wird durch ein Treibhausgas ebenso wie bei „normaler Luft“ bis zum Boden durchgelassen, weil sie einen grossen Anteil an hochenergetischer Strahlung hat (Temperatur der Sonnenoberfläche mehr als 5000 °C), die durch das Treibhausgas durchkönnen wie durch UV-durchlässiges Glas eines Treibhauses. Die abgestrahlte Wärmeenergie der Erde, die langwellig ist (Oberflächentemperatur etwa 300 K) hingegen wird durch ein Treibhausgas zurückgehalten, weil es für diese Strahlung eher „undurchsichtig“ ist, ebenfalls vergleichbar einem Glas im Treibhaus. Weil die eingestrahlte (plus die aus dem Erdinneren gleichmäßig abgegebene) Energie insgesamt abgestrahlt werden muss, muss sich das System also bei einer höheren Oberflächentemperatur einpendeln. Soweit ist das physikalisches Grundwissen. Und „da fährt die Eisenbahn drüber“. Den Energieerhaltungssatz wird so schnell niemand außer Kraft setzen.

Drei direkte Ergebnisse kann man also aus einem höheren CO₂-Gehalt der Atmosphäre ableiten:

  1. Der höhere CO₂-Anteil selbst beschleunigt die Vegetation, weil seit der großen Reduktion des CO₂ in der Atmosphäre im Verlauf der Erdgeschichte (z.B. Karbon) das Pflanzenwachstum teilweise von der Verfügbarkeit des Aufbaustoffs Kohlenstoff, der aus CO₂ gewonnen wird, begrenzt wird.
  2. Die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde erhöht sich, wie gerade oben dargestellt. Auch das begünstigt die Vegetation.
  3. Durch die höhere Oberflächentemperatur verdunstet aus den Weltmeeren mehr Wasser, was zu mehr Regen (auch über dem Festland) führt. Auch das begünstigt prinzipiell die Vegetation.

Soweit die drei banalen Effekte erster Ordnung, die direkt aus den physikalischen Grundprinzipien ableitbar sind. Und die sind natürlich allen Fachwissenschaftlern gut bekannt.

Aber wie wir alle wissen, verteilt sich der Regen (und verteilen sich sonstige Klimaeffekte) nicht gleichmäßig auf die Erdoberfläche. Es gibt Wüsten und tropischen Regenwald und noch viele sonstige Klimazonen.

Über all das wissen Geologen, Klimatologen, Ozeanologen und Meteorologen sehr viel. Bis hierher ist alles klar.

Allerdings sind diese Folgephänomene (Wüsten, Tropen, Schnee, Regen) und ihre Verteilung nicht direktes Ergebnis von physikalischen Erhaltungsgrößen und -sätzen, sondern entstehen durch ein komplexes Zusammenwirken vieler physikalischer Teilsysteme und durch geologische Phänomene von Langzeitspeicherung und -Freisetzung.

Das im Vergleich zu früher hohe Wissen, das wir über diese Phänomene heute haben, ist – und das ist für die Argumentation hier sehr wichtig – nicht aus Simulationen und nicht aus First-Principle-Rechnungen der Physik entstanden, sondern empirisch gesammelt worden. Die Teilsysteme sind so viele und so komplex, und ihr Zusammenwirken ist so sehr von Nichtlinearitäten und Interaktionen geprägt (siehe Chaostheorie oder Schmetterlingseffekt), dass es grundsätzlich bis heute nicht möglich ist, mit einer Berechnung, die nur auf elementarer Physik beruht, diese Phänomene zu beschreiben und vorherzusagen.

Das ist auch ein Grund, warum die Meteorologie (die kurzfristige Wettervorhersage) und die Klimatologie (langfristige Phänomene und statistische Größen) nur wenig miteinander zu tun haben. Durch sehr dichte Messstationen konnte zwar die Qualität von Meteorologie in der Vorhersage stark gesteigert werden, aber mittel- und langfristig sind die Meteorologie und die Klimatologie noch immer völlig verschiedene Gebiete. Die Grenze bleibt, und die Klimatologie erfordert eine andere Methodik als die Meteorologie.

Weil das Zusammenwirken der Systeme so komplex ist, versucht man, die Komplexität einerseits zu reduzieren und andererseits in numerischen Simulationen zu erfassen. Hier bin ich nun etwas skeptisch.

Bei den Halbleitersimulationen, mit denen ich zu tun hatte, war es grundsätzlich so, dass ihre Voraussagekraft begrenzt war. Innerhalb einer Technologiegeneration konnte man mit Simulationen, wenn sie erstmal gut kalibriert waren, einzelne Effekte sehr gut nachvollziehen und die Auswirkung bestimmter Änderungen ganz gut vorhersagen. Bei jedem Technologiesprung mussten die Modelle allerdings von neuem kalibriert werden. Von einem Zustand, wo man eine gänzlich neue Technologie durch Simulation so gut vorausberechnen kann, dass man das zum Entwurf der Technologie nutzt, ist die Simulation nach wie vor weit entfernt. In der Halbleitertechnologie besteht 90% der Arbeit aus Experimenten und Messungen, für die man natürlich das beste vorhandene Wissen nutzt. Weitere 9% kann man als die Leistung von physikalischen „Pauschalmodellen“ bezeichnen. Die Theoretiker, die rein mit Formeln ohne Anwerfen des grossen Gleichungslösers arbeiten, waren den Simulationsleuten grundsätzlich immer voraus. Wenn man ein Phänomen einmal verstanden hat, haben diese Leute (Festkörperphysiker etc.) normalerweise sehr schnell eine mathematische Beschreibung bei der Hand. Den 1% Nutzen, den die Simulation bringt, darf man nicht kleinreden – in manchen Situationen ist die numerische Simulation das erste Mittel der Wahl, um bestimmte Phänomene zu klären, zum Beispiel wo genau im Halbleiter ein bestimmtes Feld in welcher Stärke auftritt. Aber man muss die Kirche im Dorf lassen und darf sich nicht erwarten, über Vorhersage durch numerische Modelle eine neue Technologie entwickeln zu können. Die Natur und die Empirie erfordern viel mehr Arbeit und Verständnis.

Während die Halbleitersimulationen hochgradig nichtlinear numerisch anspruchsvoll waren, bestehen Halbleiter aber nur aus wenigen Grundkomponenten (Silizium, einige Dopanden, einige Materialien und Herstellungsschritte). Die hergestellten Computerchips sind zwar sehr komplex, aber die einzelnen Schritte, die Materialien und der Prozess sind sehr gut verstanden.

Bei Klimasimulationen hat man es hingegen mit einer Atmosphäre zu tun, mit Ozeanen, mit Strömungen, mit dem Gehalt verschiedenster Stoffe (Salinität des Wassers, Feuchtigkeit der Luft), mit nichtlinearen Phänomenen (Regenbildung), mit langfristigen chemischen Umbauprozessen, mit geologischen Ereignissen (Vulkane, Tektonik), und mit einer Vielzahl anderer Einflussgrößen. An allen wird geforscht, aber zu den wenigsten davon gibt es Modelle mit hoher Vorhersagekraft.

Und so kommt es, dass es bisher vom Weltklimarat noch kaum Bestätigungen der Modellrechnungen durch eingetroffene Vorhersagen gibt.

Die Darstellung täuscht ein bisschen. Denn natürlich ergeben sich durch die Erderwärmung viele Phänomene erster Ordnung, die einfach vorherzusagen sind und die man dann als Bestätigung der Modelle herumreicht. Aber bei genauerem Hinsehen sind diese keine Bestätigungen der Modellrechnungen, sondern Bestätigungen einfach (auch mit analytischen Modellen) vorhersehbarer Phänomene. Wenn es jahreszeitlich eine bestimmte Verteilung der Durchschnittstemperatur und um diese herum eine bestimmte Schwankungsbreite gibt, dann lässt sich eine Steigerung der Hitzetage natürlich trivial behaupten und vorhersagen. Das bestätigt aber in keiner Weise die in der Öffentlichkeit oft heraufbeschworene Gefahr von Kippereignissen, die Steigerung von Wetterextremen oder andere „Weltuntergangsszenarien“.

Und natürlich werden einfache statistische Grundwahrheiten oft als Bestätigung der Modelle herumgereicht, sind es aber nicht. Wenn man dreißig klimatisch unabhängige Punkte der Erdoberfläche festlegt und über sie berichtet, dann wird es wohl durchschnittlich jedes Jahr ein „dreißigjähriges Temperaturmaximum“, ein Niederschlagsmaximum, oder ein anderes solches Extremereignis geben.

Für eine Bestätigung der oft propagierten gefährlichen Szenarien wäre also notwendig, dass sich die wissenschaftliche Community auf eine statistisch messbare Größe festlegt, die sich nicht trivial aus der Durchschnittstemperaturerhöhung ergibt, deren Änderung vorhergesagt wird und im Nachhinein dann überprüfbar ist, und die für die Menschheit negative Auswirkungen hat.

Davon habe ich in den Medien bisher nur wenig gelesen.

Und nach allem, was ich bisher weiß, traue ich weder Herrn Aigner noch Markus Wadsak noch vielen anderen, die da als „Experten“ herumgereicht werden oder unterwegs sind, die numerische Lösung einer einfachen Differentialgleichung zu, geschweige denn jenes tiefe physikalische Verständnis, das ich bei vielen Experten in der Halbleiterforschung oft gesehen habe.


Punkt Zwei: Das von ihm nonchalant als akzeptabel in den Raum gestellte negative Wirtschaftswachstum

Für einen linken Bildungsforscher mag es en vogue sein, wirtschaftlichen Stillstand oder sogar ein negatives Wirtschaftswachstum für angebracht zu halten.

Aber es gibt auch noch sowas wie die Wirtschaftswissenschaften. Und die sind eine soziale, aber auch eine empirische Wissenschaft. Man weiß aus der Empirie (und in Österreich erleben wir es gerade), dass wirtschaftlicher Stillstand eigentlich ein Abstieg ist.

Denn die Welt dreht sich weiter. Anderswo erfinden die Menschen neue, bessere Technologien, die die alten ablösen. Das betrifft alle Bereiche des Lebens: Gesündere Nahrungsmittel, bessere Umwelt, Fortschritte in der Medizin und Pharmakologie, kleinere, schnellere und leistungsfähigere Computer, sparsamere und effizientere Verkehrsmittel, bessere Wärmedämmung der Häuser, intelligentere Verkehrsstromregelungen, weniger Abfall, weniger Gifte und bessere Schädlingsbekämpfungsmittel und so weiter.

Es ist bezeichnend, dass Herr Aigner in seinem Text einige dieser Aspekte als positiv darstellt (nämlich jene, zu denen es in der letzten Zeit prononcierte Links-Rechts-Kontroversen gegeben hat), andere völlig unter den Tisch fallen lässt, aber summarisch ein Wirtschaftswachstum als eine zu vernachlässigende Größe darstellt.

Alle diese Weiterentwicklungen entstehen durch Wettbewerb auf einem Markt, und auf dem Markt setzt sich die bessere Leistung durch, weil sie besser bezahlt wird. Das nennt man Wirtschaftswachstum.

Die Zeiten, wo wie weiland in der Sowjetunion mehr Wirtschaft mehr Beton bedeutet hat, sind vorbei, zumindest im Westen. Die Sowjetunion hat bis zum Schluss ihrer Existenz prächtiges Wirtschaftswachstum herumgereicht, das aber bis zum Ende in mehr Beton und mehr Stahl gemessen wurde. Sie hat dabei einige technische Revolutionen verschlafen, die Computerrevolution und die unter Reagan gestartete Rüstungsinitiative (Strategic Defense Initiative) haben ihr dann „das Genick gebrochen“. Mit Aufwendungen von 30% des BIP für die Rüstungsindustrie bei gleichzeitigem jahrzehntelangen Stillstand des allgemeinen Wohlstands wollten sich die Bürger nicht mehr abfinden, und letztlich konnten die steigenden Rüstungsausgaben aus der stagnierenden Wirtschaft einfach nicht mehr finanziert werden.

Parallelen zu heute? Klar.

Hier ist aber der entscheidende Punkt, dass Herr Aigner den Wohlstand und den Fortschritt nur dort sehen will, wo er in sein linkes Konzept passt. Wissenschaft ist für ihn nur, was seine linken Freunde ihm erzählen, sie ist nur ein Kampfmittel im Grabenkrieg zwischen Links und Rechts.

Wie schrecklich.

Zur modernen Wissenschaft gehört auch, die Dinge im Zusammenhang zu sehen. Und dazu ist es notwendig, bei Maßnahmen wie den Corona-Einschränkungen beides zu sehen: Den erzwungenen Stillstand der Gesellschaft und die verlorenen Lebensjahre an Kontakt und an Lebensqualität einerseits, und die Gefährdung vieler Menschen durch die Epidemie und durch boshafte, quer denkende und rücksichtslose Mitmenschen andererseits. Mit seiner Kritik der Querdenker und ähnlicher Gruppen hat er recht, aber wenn er die Wissenschaft propagieren will, sollte er zuallererst einmal dorthin sehen, wo diese völlig missachtet wurde: Ins österreichische Gesundheitsministerium. Ganz analog zu den nicht die Zusammenhänge begreifenden Klimaklebern hat auch das Gesundheitsministerium sich Scheuklappen aufgesetzt. Es hat die Wissenschaft nur selektiv berücksichtigt, und nur im Sinn seiner eigenen Interessen und Vorgaben.

Die ganze Pandemie hindurch hat das Contact-Tracing im wesentlichen nicht funktioniert, es war zu wenig, zu langsam und zu konzeptlos. Die Kritik des Rechnungshofs, man hätte für die Tests eine Strategie haben sollen, lässt sich präzisieren: Wir hatten wunderbare Initiativen von Privaten (Christoph Steininger hat von Anfang an eine gute Teststrategie propagiert, die insbesondere logistisch gut organisiert war). Allerdings war an den Schulen das Chaos. Teils wurden mit einer Woche Verspätung Quarantänebescheide zugestellt, und ganze Schulstunden sind dafür draufgegangen, die Sitznachbarn erkrankter Schüler formell zu dokumentieren, während jene, die selbst bereits infiziert waren, längst selbst zu Hause geblieben waren und ihre Mitschüler per WhatsApp verständigt hatten.

Weder das Gesundheitsministerium noch das Unterrichtsministerium waren in der Lage zu verstehen, dass jede Epidemie eine Frage der Ausbreitungsmathematik ist. Mit großer Verzögerung hat man einige Leute mit Simulationen beauftragt, die dann im Nachhinein bestätigt haben, was man eh schon durch die Beobachtung wusste. Auf die Entwicklung der Infektionszahlen im Sommer 2020, auf die Erich Neuwirth hingewiesen hat, und auf die Warnungen der Mathematiker Markowich und Mauser hat man nicht gehört.

Das kann man nicht nur der Regierung und den Parteien in die Schuhe schieben. Das muss man, wenn man ehrlich ist, als grundsätzliches Versagen des epidemiologischen Verständnisses in der dafür zuständigen Abteilung des Gesundheitsministeriums anprangern. Ein Ministerium, das seine Mitarbeiter aus der Arbeiterkammer rekrutiert, das ein Jahr für das Upgrade eines völlig nutzlosen epidemiologischen Meldesystems verschwendet und das die rasche Ausbreitungscharakteristik des Virus völlig ignoriert, ist nutzlos. Ein Ministerium, dessen Chef sich hinstellt und im TV die Grundzüge exponentiellen Wachstums erklärt, der aber im Hintergrund nicht eine Stunde Zeit findet, um sich praktische Möglichkeiten anzuhören, wie man effizientes Contact-Tracing machen kann, kann einpacken.

Herr Aigner sieht die Entwicklung von modernen mRNA-Impfstoffen positiv. Diese Sicht teile ich. (Die Firma Biontech ist übrigens von Deutschland nach England ausgewandert, vermutlich weil das ein besserer Forschungsstandort ist.) Er sieht die Maßnahmen wie Lockdowns als notwendig und wissenschaftlich gerechtfertigt. Das teile ich nur halb. Ja, Lockdowns sind manchmal unvermeidlich und gehören seit jeher zur Praxis der Seuchenvermeidung (und waren auch immer heftig umstritten). Aber Voraussetzung eines Lockdowns ist es, dass die Behörden sich zuvor angestrengt haben, alle Maßnahmen auszuschöpfen, um Lockdowns zu vermeiden. Das war beim österreichischen Gesundheitsministerium nicht der Fall. Es hat sich sehr banalen Erkenntnissen verweigert. In einer Stunde hätte man ihm nachweisen können, dass seine Methoden des Contact-Tracing nicht wirksam sind und warum. Und was man hätte besser machen können.

Aber in Österreich sitzen in solchen Ministerien lauter Linke ohne soziales Gewissen, ohne Verantwortung für die vielen Menschenleben, die von ihren Entscheidungen abhängen. Und darum geht man ganz bewusst Wege, die nachweislich unwirksam sind und in die Irre führen, und verweigert jeden wissenschaftlichen Dialog und jede Erkenntnis.

Das ist ein Folge des österreichischen Bildungssystems, und zwar ganz konkret eine Folge jener Reformen, die den Obrigkeitsstaat für gut halten, die das staatlich-planwirtschaftliche Modell für gut halten, und die „Wissenschaft“ für ehrfürchtiges Verbeugen vor den Kapazundern der Wissenschaft halten, nicht für eigenes kluges Nachdenken und Überprüfen.

Ein ähnliches Versagen wie beim Gesundheitsministerium in der Corona-Krise ist in ganz Österreich zu verzeichnen, wenn es um Maßnahmen zum Klimaschutz geht. Hier werden einige Wissenschaftler zu Götzen ernannt, denen es zu folgen gilt, und es wird Ideologie betrieben. Alle, die das nicht tun, werden als „wissenschaftsfeindlich“ denunziert.

Insbesondere dass das von Leuten wie Herrn Aigner kommt, die konkret wenig Ahnung von Mathematik, Naturwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft haben, stößt sauer auf.

Ich würde mir von Herrn Aigner wünschen, dass er nicht öffentlich und publikumswirksam auf die konservative Reichshälfte eindrischt, weil die seiner Idee von Wissenschaft nur zum Teil folgt, sondern dass er wissenschaftsablehnende Mitarbeiter im Staatsapparat und auf den Unis (also die Linken) zur Ordnung ruft. Dort ist die Wissenschaftsfeindlichkeit zu Hause. Dort sucht man sich aus „der Wissenschaft“ immer „die Wissenschaftler“ aus, denen es zu folgen gilt, und zwar ohne eigenes wissenschaftliches Denken, sondern in stummer Heldenverehrung.

Also das Gegenteil von Wissenschaft.