Marsalek und Kern – die Nebenhandlung zur Spionageaffäre

Der Boden für Korruption ist in Österreich besonders gut gedüngt.


In vielen Theaterstücken von Shakespeare bis Nestroy sind neben der oft tragischen Haupthandlung noch parallele Handlungsstränge zu finden, die der Auflockerung dienen. Die „Sidekicks“ von Sancho Pansa bis zu Hadschi Halef Omar sind eine literarische Tradition.

Eine solche Nebenhandlung gibt es auch zur Spionageaffäre, die in Österreich gerade stattfindet, zur Geschichte um den russischen Spion im BVT. Bei der Nebenhandlung geht’s um die Auftragsvergabe der ÖBB an die Wirecard für die Zahlungsabwicklung im Ticketshop.

Es ist bezeichnend, dass sowohl die Aufklärung der wirtschaftlichen Betrugsmasche bei Wirecard wie auch die nun erfolgte Festnahme des BVT-Spions beide nach Hinweisen aus dem angelsächsischen Raum erfolgt sind. In Österreich selbst, so muss man leider feststellen, sind die Korruption und die Misswirtschaft so verbreitet, dass völlig aus der Proportion geratene Ausgaben und Günstlingswirtschaft, also die Finanzierung von völlig überteuerten Leistungen über den Apparat der staatsnahen Wirtschaft, schon lange niemandem mehr auffallen. So üblich ist es in Österreich, dass die Staatsbetriebe, insbesondere die ÖBB, alle Leistungen schlecht und unvernünftig einkaufen und viel zu viel Geld dafür ausgeben, dass hierzulande kein Hahn danach kräht.

Die Fakten sind schnell erzählt: Im Jahr 2009 hat die ÖBB die Erstellung eines Fahrkartensystems, also einer umfangreichen einzelangefertigten spezialisierten Software für den gesamten Fahrkartenvertrieb der ÖBB, um € 17 Millionen (teilweise) an Externe vergeben.

Weil es die ÖBB war, die das vergeben hat, ist letztlich nichts Sinnvolles dabei herausgekommen, aber das ist an anderer Stelle noch ausführlicher zu besprechen. Bei kompetentem Auftraggeber, was die ÖBB nicht war, wären die 17 Millionen ein durchaus angemessener Preis gewesen.

Weil bei dem ganzen Projekt jahrelang nichts weitergegangen und herausgekommen ist und sich die Misere immer schlechter vor der Öffentlichkeit verbergen ließ, geriet Christian Kern, der die verfehlte Projektumsetzung zu verantworten hatte, doppelt unter Druck. Einerseits war zu befürchten, dass er sich irgendwann für die vielen uninformierten Fehlentscheidungen würde rechtfertigen müssen. Es gibt Grenzen der Unfähigkeit; auch ein Konzernchef, der weder technisch noch wirtschaftlich kompetent ist, muss gewisse Probleme erkennen und darauf reagieren können.

Und andererseits war dieses Projekt, das Fahrkartensystem, als großes Renommierprojekt der ÖBB nach außen vorgesehen. Es war dazu bestimmt, Christian Kern einen guten Ruf als Manager zu verschaffen und ihn für höhere Weihen zu empfehlen. Auch wenn es möglicherweise später gelingen würde, die Verantwortung für den Fehlschlag zu verwässern und dem Rechnungshof die wesentlichen Details vorzuenthalten, war das Projekt damit noch lange nicht geeignet, als Steigbügel des großen Zampanos herzuhalten. Eine glänzende Oberfläche musste her.

Darum hatten sich in Jan Marsalek und Christian Kern zwei gefunden, die einander gegenseitig brauchten: Der eine (Kern) brauchte eine glänzende Oberfläche, die beim neuen Ticketshop wenigstens nach außen, für die auf bunte Bilder und schöne Designs fixierte Öffentlichkeit, absolute Kompetenz und Exzellenz vorspiegelte. Dazu war die Partnerschaft mit dem neuen Stern am Himmel der Zahlungsanbieter, der Wirecard, gerade recht.

Der andere (Marsalek) brauchte für seine Firma Geld, einige Aufträge mit guter Marge, um das Phantomgeschäft in Asien geschickter zu kaschieren. Er brauchte aber vor allem auch gute Kontakte in die Politik, um bei seinen Umtrieben stets als der glänzende Geschäftsmann, der die Dinge in Bewegung setzen kann, zu gelten.

Und so wurde für ein einzelangefertigtes gesamtes Fahrkartenvertriebssystem, das ursprünglich mit € 17 Millionen externen Kosten budgetiert war, letztlich eine völlig standardisierte Dienstleistung (Kreditkartenabrechnungen), die von vielen Anbietern auch im österreichischen Markt besser und billiger erbracht worden wäre, um Kosten von € 20 Millionen eingekauft.

In einem Staat, der auf Ehrlichkeit, Kostenbewusstsein, Offenheit und Transparenz Wert legt, müssten bei einer Auftragsvergabe wie jener der ÖBB an die Wirecard die Alarmglocken klingeln. Hier ist jeder Sinn für Proportionen verloren gegangen.

Aber in Österreich, wo 50% aller Ausgaben durch den Staat erfolgen, sind es alle gewohnt, dass völlig sinnlos überteuerte Leistungen ohne jeden Wettbewerb durch die staatlichen Wirtschaftsbetriebe eingekauft werden und dass dabei immer nur die Günstlinge der jeweiligen Parteien oder ihrer eingesetzen Führungsfiguren zum Zug kommen.

Und so wurde die Vergabe dieses Auftrags der ÖBB an die Wirecard nicht etwa durch interne Kontrollmechanismen des Staates aufgedeckt, durch die Innenrevision der ÖBB oder den Rechnungshof oder (Gott bewahre!) durch die WKStA, gegebenenfalls nach einer entsprechenden Anzeige durch das Verkehrsministerium.

Nein, über die Tatsache dieser Vergabe erfährt die Öffentlichkeit wiederum nur über den Umweg der bei Wirecard sichergestellten Emails und der dazu durchgeführten Recherchen von ORF, Profil und Standard.

Die Verkehrsministerin hat angeblich Brigitte Ederer mit der Aufklärung dieser Vergabe beauftragt; das ist mein letzter Wissensstand dazu. Von einem Ergebnis (die Vorwürfe wurden vor mehr als drei Jahren öffentlich) ist mir nichts bekannt.

Was in jedem modernen westlichen Land eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nämlich Misswirtschaft und Fehlschläge aufzuklären, um sie in Zukunft zu vermeiden oder abzustellen, ist in Österreich die absolute Ausnahme.

Es gibt viele Gründe, warum Österreich das bevorzugte Betätigungsfeld der ausländischen Spione ist. Und diese Gründe sind praktisch deckungsgleich mit den Gründen, warum Österreich auch das Traumland der korrupten Misswirtschaftler ist.

Fazit: Wir bräuchten eine spezialisierte Staatsanwaltschaft, die Korruption bekämpft. Dringend.