Intellektuelles aus der Bundes-Wettbewerbsbehörde

Bei der Bundes-Wettbewerbsbehörde hat man das Konzept des Wettbewerbs noch nicht so ganz verstanden.


Die Bundeswettbewerbsbehörde hat nach längerem Streit der Regierungsparteien am 10. Oktober 2023 eine neue Leitung bekommen.

Der Streit war von einiger Kritik der Opposition begleitet:

Denn beide fehlenden Besetzungen erschweren die wichtige Arbeit der Wettbewerbsbehörde und des Verwaltungsgerichts, betont Yildirim: „Die Regierung sabotiert mit ihrem Streit zwei äußerst wichtige Behörden für die österreichischen Konsument*innen und Wirtschaft. Die Bundeswettbewerbsbehörde muss gerade in der Teuerung voll funktionsfähig sein, um die Konsument*innen vor Täuschungen und Wettbewerbsverzerrungen der Unternehmen zu schützen.“

Die Neubesetzung kündigte alsbald an, die neue Behördenleitung wolle sich nun weniger den Preisabsprachen und verstärkt dem Missbrauch der Marktmacht widmen. Jeder kleine Unternehmer, der vom Staat in die Ecke gedrängt wird, wird das begrüßen. So schreiben die Salzburger Nachrichten:

Verfahren wegen Marktmachtmissbrauchs seien ihr ein Anliegen, „auch wenn diese Verfahren deutlich komplexer sind, auch für die Wettbewerbsbehörde, weil beim Nachweis von Marktmachtmissbrauch muss ich erst nachweisen, dass das Unternehmen marktmächtig ist im Sinne des Gesetzes, dann muss ich den Missbrauch nachweisen. Es ist eine stark ökonomische Analyse und diese Verfahren dauern auch im internationalen Vergleich deutlich länger. Aber diese Verhaltensweisen können sehr schädlich sein für die Volkswirtschaft, weil sich dadurch oft mittelständische Unternehmen im Wettbewerb nicht entfalten können“, so die Behördenchefin.

Interessant! Eine Sozialdemokratin tritt für Konsumentenschutz durch Wettbewerb ein und die neue Behördenleiterin versteht, dass Marktmachtmissbrauch verhindert, dass mittelständische Unternehmen sich im Wettbewerb entfalten (und dem Konsumenten bessere Leistung bieten) können.

In der Praxis klappt das allerdings noch nicht so ganz.

In einem ersten Anschreiben an die Behörde über den Marktmachtmissbrauch der ÖBB und des Verkehrsministeriums weisen wir darauf hin, dass unser Fahrkartensystem dem Fahrgast besseren Service bei vollem Datenschutz und Persönlichkeitsschutz bietet, und dass auch PDF-Fahrkarten noch kurz vor der Fahrt storniert werden können:

Dass eine vergleichbare Kundenfreundlichkeit bei der ÖBB seit mehr als zehn Jahren nicht erreicht werden kann, bezeugen unzählige Reklamationen bei der Schienen-Control und Agentur für Fahrgastrechte.

Der Grund für die anhaltende Misere ist fehlender Wettbewerb am Markt für Fahrkartensysteme. Die Abnehmer (ÖBB und regionale Monopolisten) bilden ein faktisches Nachfragemonopol, das jeden technischen Fortschritt unterdrücken kann (und unterdrückt), der nicht aus dem eigenen Haus kommt.

Mindestens an zwei Stellen haben die Akteure dabei gegen das Europarecht verstoßen: Bei der Rücknahme der Ausschreibung der ÖBB zum Fahrkartenwesen (Vergabe 2009), die in einem Desaster mündete (Rechnungshof-Berichte), wurde das Europarecht missachtet und keinerlei Transparenz hergestellt (zum Transparenzerfordernis auch in einem solchen Fall siehe EuGH C 285/18) und bei der Übernahme des ÖBB-Systems in die One Mobility wurde gleich gar nicht ausgeschrieben, sondern es wurden „die fachlichen Anforderungen in einem Prozess mit Stakeholdern der Branche erarbeitet“, was eine euphemistische Umschreibung für Mauschelei in einem geschlossenen Klub von Monopolisten darstellt.

Jedoch die BWB sieht sich nicht zuständig. Der Sachbearbeiter hat vermutlich die interne Kursänderung noch nicht mitgekriegt. Die Behörde sei speziell für das Kartellgesetz zuständig:

Die BWB ist unter anderem befugt, wegen Verstößen gegen § 5 KartG (Verbot des Missbrauchs einer machtbeherrschenden Stellung) zu ermitteln. Anhaltspunkte für einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, sofern eine solche Stellung gegeben ist, werden in § 5 Abs 1 KartG aufgezählt.

Nach Prüfung des übermittelten Sachverhalts lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Verstoß gegen das Kartellgesetz ableiten.“

In anderen Worten, der Standard-Text aus der Schublade.

Na dann sehen wir uns doch mal den einschlägigen Paragraphen des Kartellgesetzes an:

§ 5. (1) Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist verboten. Dieser Missbrauch kann insbesondere in Folgendem bestehen:

  1. der Forderung nach Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder nach sonstigen Geschäftsbedingungen, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, wobei insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmern auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen sind,
  2. der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher,

Also gut, wenn die BWB den direkten Zusammenhang mit dem Gesetzestext braucht, soll sie ihn bekommen. Wir schreiben:

Materiell scheint jedoch nach unserer Beurteilung sehr wohl  § 5 (1) KartG 2005 entsprechend dessen Ziffern 1 und 2 verletzt:

Ziffer 1 spricht von „Geschäftsbedingungen, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden, wobei insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmern auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen sind“.

Die ÖBB schafft seit über 10 Jahren nicht, ihren Fahrgästen Internet-Tickets anzubieten, die nach Ausstellung als PDF, jedoch vor dem Beginn der gebuchten Fahrt, noch storniert werden können.

Solches ist in einem Markt mit Konkurrenz, zum Beispiel in der Tschechischen Republik auf der Hauptstrecke Prag-Brünn-Olmütz, schlicht unvorstellbar: Durch die Konkurrenz dreier Bahnanbieter ist es plötzlich möglich, dass die Kunden (Fahrgäste) Fahrkarten bis kurz vor der Fahrt stornieren können. Auch bei der österreichischen WESTbahn auf der Strecke Wien-Salzburg (respektive mittlerweile Bregenz) war dies seit Betriebsbeginn möglich; wobei sogar die Tickets nicht an einen bestimmten Zug oder ein bestimmtes Datum gebunden waren. Vergleichbares Service hat die ÖBB nie geboten. Konkurrenz allein auf der Westbahnstrecke reicht allerdings faktisch offenkundig nicht aus, um im Gesamtmarkt der Bahnfahrdienstleistungen einen relevanten Impuls zu einer Änderung der ÖBB zu geben, und das seit bereits 12 Jahren. Die Fahrgastbeschwerden laufen bei der Schienen-Control oder nunmehr bei der Agentur für Fahrgastrechte auf, ohne dass der Markt dieses schlechte Angebot korrigieren kann. Ganz eindeutig ist die marktbeherrschende Stellung der ÖBB so stark, dass sie sich erlauben kann, derartige Geschäftsbedingungen einfach vorzuschreiben. Bei technisch kompetenter Umsetzung spricht nichts dagegen, einen Fahrgast das Ticket bis kurz vor der Fahrt noch stornieren zu lassen. Die ÖBB ist allerdings unfähig, ein geeignetes technisches System zu entwickeln, und lädt die Folgen auf den Kunden ab.

Unzweifelhaft liegt damit auch eine „Einschränkung … der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher“ iSd Ziffer 2 leg.cit. vor.

Nicht nur die ÖBB, sondern nun auch die staatliche One Mobility, die eine faktische Monopolstellung kraft ihrer gleichzeitigen Vergabe von Subventionen an die Verkehrsunternehmen hat, haben als Geschäftsbedingung für Anbieter von Fahrkartensystemen eine einzige gestellt, nämlich es muss das ÖBB-System sein. Und damit hat auch die One Mobility wie zuvor die ÖBB die technische Entwicklung zum Schaden der Verbraucher massiv blockiert und wird sie die nächsten Jahrzehnte weiterhin blockieren.

Mein Mandant erkennt an, dass hier eine Interaktion mehrerer (Teil-)Märkte – Passagiertransporte ieS, Fahrkartenvertrieb und Fahrkartensysteme – vorliegt, die sämtlich vom öffentlichen Anbieter ÖBB/OneMobility dominiert werden;  nach außen hin täuschen diese staatlichen Anbieter Bemühungen vor und wollen den Eindruck von Kompetenz erwecken, in Wahrheit blockieren sie aber jede technische Weiterentwicklung.

Die BWB lässt das aber kalt. Der § 5 Kartellgesetz verweist auf vergleichbare Märkte mit wirksamem Wettbewerb oder Einschränkungen der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher? Das Kartellgesetz hat damit natürlich nicht die Bahnkunden gemeint. Das kann ja gar nicht sein:

Ihr Mail vom 3. März 2024 bezieht sich stark auf Nachteile, die für den einzelnen Kunden der ÖBB entstehen können. Diesbezüglich sind die Agentur für Fahrgastrechte und ggf. die Schienen-Control Kommission geeignetere Ansprechpartner. Für dezidierte Verbraucherbeschwerden sind auch der VKI und die AK zuständig.

Die Bundes-Wettbewerbsbehörde interpretiert also unser Argument, dass die Beschwerden seit mehr als 10 Jahren bei der Schienen Control und der Agentur für Fahrgastrechte auflaufen und von ÖBB und Verkehrsministerium wegen ihrer Marktmacht ignoriert werden, als Einzelbeschwerde, und verweist uns – Trara! – an die Schienen-Control und die Agentur für Fahrgastrechte. Ah ja, und an den Verein für Konsumenteninformation und an die Arbeiterkammer, die erst kürzlich wieder gegen Ausschreibungen und damit gegen den Wettbewerb argumentiert hat.

Die Aufgabe der Bundes-Wettbewerbsbehörde ist es eigentlich nicht, die Leute im Kreis zu schicken wie bei Asterix in Rom. Ihre gesetzliche Aufgabe ist es, das Wettbewerbsrecht durchzusetzen.

Das wird bei den gegebenen intellektuellen Fähigkeiten dort noch eine Zeit lang dauern.

Aber ich schätze mal, mit einer Wettbewerbsbehörde, die die systematische Kundenmisshandlung bei der ÖBB nicht als Zeichen fehlenden Wettbewerbs sieht (was haben sich die Autoren des § 5 Kartellgesetzes um Himmels willen nur bei diesen Formulierungen gedacht? Es ist wirklich schwer verständlich, wieso da im Kartellgesetz auf technischen Fortschritt, auf Schaden der Konsumenten und auf vergleichbare Märkte mit wirksamem Wettbewerb verwiesen wird … hmmmm … darüber denken wir vielleicht mal beim nächsten Seminar mit Vortragenden der Arbeiterkammer gemeinsam nach) wird Frau Yildirim nun die nächsten Jahre sehr zufrieden sein.

Korrupt sind immer nur die anderen.